„Du blickst auf die Erde zurück und siehst, dass sie in der perfekten Entfernung zur Sonne steht, um uns zu beschützen. Und dann wird dir klar, dass wir uns auch um sie kümmern müssen, damit sie sich weiterhin um uns kümmern kann“, sagte Nicole Stott, eine Astronautin, die 2009 auf der ISS war. Dieses Phänomen beschreiben viele Menschen, die im All waren und auf die Erde herabgeblickt haben.
Eine ähnliche Erfahung macht, wer die Fotos von Sebastian Bühler betrachtet, die aktuell in der Mewo-Kunsthalle in Memmingen hängen. Es sind Bilder von Landschaften, aufgenommen in Serbien und Bosnien-Herzegowina aus 30 bis 120 Metern Höhe. Die leuchtenden Farben stechen ins Auge. Kiwigrünes Wasser fließt durch ein verzweigtes Flussdelta in einen See. Eine andere Aufnahme zeigt swimmingpoolblaue Wasserlachen auf einem dunkelgrauen Boden.
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„Meine Bilder sind auf der Schwelle zwischen künstlerischer und dokumentarischer Fotografie“, sagt Sebastian Bühler, der in Augsburg geboren ist. Er hat seine Fotos nicht bearbeitet, um die Farben so zum Leuchten zu bringen, die Bilder zeigen die Realität. Dass die so farbenfroh ist, bedeutet nichts Gutes. Bühler fotografiert in Gebieten, in denen Kupfer, Eisen und Kohle abgebaut werden, oder an Orten, an denen Fabriken für Aluminium, Stahl, Zement und Düngemittel stehen.
Der Fotograf reist seit zehn Jahren immer wieder nach Serbien und Bosnien. Er erzählt: „Zuerst habe ich bemerkt, wie viel Müll dort herumliegt.“ Dann fand er immer mehr über die Umweltprobleme der beiden Länder heraus. Die Luftqualität ist in beiden Ländern deutlich schlechter als in anderen europäischen Ländern. Und sowohl Serbien als auch Bosnien-Herzegowina erzeugten vergangenes Jahr 60 Prozent ihres Stroms mit Kohle.
Einige der Fotos von Sebastian Bühler sind in der Region um die Stadt Bor im Osten von Serbien aufgenommen. Bor ist etwas kleiner als Memmingen. Dort ist eine der größten Kupferminen Europas. Sie wurde schon vor 120 Jahren eröffnet. „Die Menschen, die in der Region wohnen, protestieren seit 100 Jahren gegen die Minen“, sagt Sebastian Bühler. Zur Nazi-Zeit, Deutschland hatte Jugoslawien besetzt, arbeiteten dort Zwangsarbeiter. Die Hälfte des Kupferbedarfs aus der deutschen Rüstungsindustrie zu der Zeit stammte aus den Minen. Heute gehört die Kupfermine einem chinesischen Unternehmen. Bühlers Bilder zeigen, wie das Rot des Metalls auch heute noch Pfützen färbt, die sich im Abbaugebiet gebildet haben.
Die Aufnahmen faszinieren und schockieren. Die strahlenden Farben verfließen ineinander fast wie bei Bildern ferner Galaxien. Gleichzeitig sieht, wer die Fotos genauer betrachtet, Lastwagen, Bagger, Abwasserrohre und andere menschliche Spuren. Dem Betrachter wird bewusst, dass das, was von weit weg so schön aussieht, in Wahrheit ein Werk der Zerstörung ist. Doch im besten Fall verwandelt sich die Bedrückung im Laufe des Besuchs zu dem Gefühl der Verbundenheit mit der Erde, das viele Astronauten beschreiben, die die Welt von oben gesehen haben.
Sebastian Bühler fand den Weg zur Fotografie über die HipHop-Kultur, die seine Jugend prägte. Er studierte Fotodesign an der Hochschule München. Fast zwei Jahre lang fotografierte Bühler für das Projekt „Abstract Realities“. Fertig sei er noch nicht, sagt er. Als nächstes möchte er nach Rumänien und Albanien reisen, um dort noch mehr Orte zu fotografieren, an denen die Menschen ihre Umwelt zerstört haben.
Die Ausstellung „Abstract Realities“ ist noch bis zum 21. Juli in der Mewo-Kunsthalle zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr.
Außerdem sind dort aktuell eine Ausstellung mit Scherenschnitten von Wolfgang Niesner und eine Ausstellung über Hexen zu sehen.