Unterricht schwänzen wegen günstigerer Flugtickets?

Immer mehr Schwänzer am Allgäu Airport - Ist Schule schwänzen zu einfach?

Am Allgäu Airport greift die Polizei besonders vor und nach den Ferien zahlreiche Schulschwänzerinnen und -schwänzer auf. Woran liegt das?

Am Allgäu Airport greift die Polizei besonders vor und nach den Ferien zahlreiche Schulschwänzerinnen und -schwänzer auf. Woran liegt das?

Bild: Matthias Balk, dpa (Symbolbild)

Am Allgäu Airport greift die Polizei besonders vor und nach den Ferien zahlreiche Schulschwänzerinnen und -schwänzer auf. Woran liegt das?

Bild: Matthias Balk, dpa (Symbolbild)

Immer häufiger greift die Polizei am Flughafen Memmingen Eltern mit Kindern auf, die in der Schule sein müssten. Sind die Konsequenzen fürs Schwänzen zu lasch?
16.06.2023 | Stand: 07:39 Uhr

13 Verstöße gegen die Schulpflicht stellte die Polizei allein am Montag am Allgäu-Airport Memmingen fest. „Wie so oft, wenn die Ferien starten oder zu Ende gegangen sind“, kommentierten die Beamten die Fälle. Die aus Bayern und Baden-Württemberg stammenden Eltern oder Erziehungsberechtigten verlängerten demnach eigenmächtig die Pfingstferien, indem sie ihre Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren an den jeweiligen Schulen kurzerhand als „krank“ gemeldet hatten. Die Polizisten stellten die Personalien fest und eröffneten Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Wie viele Fälle von Schulschwänzern es tatsächlich gibt, ist unklar. „Uns liegen keine konkreten Zahlen vor – das ist Angelegenheit der jeweiligen Schule“, sagt Bertram Hörtensteiner, Leiter des Staatlichen Schulamts für Memmingen und das Unterallgäu, das dort für insgesamt rund 50 Grund- und Mittelschulen zuständig ist.

Schulschwänzer am Flughafen Memmingen - Polizei registriert 2023 bereits 62 Verstöße gegen die Schulpflicht

Einen Anhaltspunkt bieten die Aufgriffszahlen von Schulschwänzerinnen und -schwänzern der Polizei am Flughafen Memmingen. Dort registrierten die Beamten im Jahr 2023 bislang 62 Verstöße gegen die Schulpflicht. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 119, 2021 nur 46, was jedoch auf die Pandemie zurückzuführen ist. Die Polizei erwartet auch in diesem Jahr einen weiteren Anstieg von Schulschwänzern, da auch die Zahl der Flugpassagiere ansteige – und nennt einen speziellen Grund: „Die Eltern geben bei der Befragung durch die Beamten regelmäßig an, dass Reisen außerhalb der Ferien deutlich billiger sind, zumeist gibt es aber oft auch nur Flugverbindungen an gewissen Tagen, was eine pünktliche Rückkehr zur Schule beziehungsweise pünktlichen Abflug in den Urlaub nicht möglich macht.“ (Lesen Sie auch: Am Flughafen Memmingen vergessen und verloren - Ein Blick ins Fundlager des Airports)

Die Verstöße landen zur weiteren Bearbeitung bei den Landkreisen und Städten, in denen der oder die Betroffene wohnt. Von etwa 60 Ordnungswidrigkeitsverfahren pro Jahr spricht beispielsweise die Stadt Kempten; heuer sind es bisher 34. Laut Stadtverwaltung ist die Zahl in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Die Geldbußen bei Schulpflichtverletzungen liegen in der Regel zwischen 60 und 600 Euro. Der Landkreis Unterallgäu bearbeitete 2020 rund 20 Fälle, im vergangenen Jahr etwa 40 – dort also eine klare Zunahme. Die Zahlen beziehen sich jedoch auf alle Formen des Schulschwänzens, nicht nur rund um Ferien.

Schule schwänzen für dringenden Arztbesuch im Ausland, eine Beerdigung oder eine Hochzeit

Das Thema beschäftigt beispielsweise die Grund- und Mittelschule im Memminger Stadtteil Amendingen. Deren Leiter Robert Hackenberg spricht von „Einzelfällen“. Und nennt Beispiele: ein dringender Arztbesuch im Ausland, eine Beerdigung, eine Hochzeit oder der 80. Geburtstag des Opas in Hamburg. „Das überprüfen wir und lassen uns einen Beleg geben.“ Jüngst musste eine Mutter zur Scheidung von ihrem Mann nach Rumänien fliegen – „da konnte das Kind im Grundschulalter schlecht allein zuhause bleiben“. Der Termin sei auf den Ferienanfang gefallen – „aber Mutter und Kind sind nach einigen Tagen wieder zurück gewesen und haben dort keinen verlängerten Urlaub gemacht“, sagt Hackenberg. Legen die Eltern eine ärztliche Krankmeldung für das Kind vor, werde diese akzeptiert und nicht hinterfragt.

Der Schulleiter hat „ein gewisses Verständnis“, wenn Eltern ihre Kinder in geschilderten Einzelfällen vom Unterricht befreien lassen wollen. „Manchmal habe ich zwar schon den Verdacht, dass es den Eltern darum geht, ein billigeres Flugticket für die Ferien zu bekommen – das lassen wir aber nicht durchgehen“, sagt Schulleiter Hackenberg. „Jeder Einzelfall wird besprochen und geprüft – und der versäumte Unterrichtsstoff muss natürlich nachgeholt werden.“ Oft gebe es einen Kompromiss, um die Zahl der Fehltage zu minimieren – „also wirklich nur so lange weggeblieben wird, wie nötig ist“. Das unterstreicht auch Schulamtsdirektor Hörtensteiner: „Ein Tag vor und nach zum Beispiel einer Beerdigung muss reichen. Eigenmächtiges Verlängern geht nicht.“

Schule vorsätzlich schwänzen ist eine Ordnungswidrigkeit - Bußgeld droht

Die Rechtslage ist klar: In Bayern besteht bekanntlich Schulpflicht. Und egal, ob nun mitten im Schuljahr oder kurz vor oder nach den Ferien – die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen sind dazu verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen, teilt das Kultusministerium auf Anfrage mit.

Um überprüfen zu können, ob eine Krankmeldung rechtens ist, oder nur gemacht wurde, um früher in den Urlaub zu fliegen, könne die Schule laut Kultusministerium selbst entscheiden, ob sie ein ärztliches Attest verlangt. In Nordrhein-Westfalen müssen Eltern von unmittelbar vor oder nach den Ferien erkrankten Kindern ein Attest bei der Schule vorweisen. „Das wollen wir in Bayern nicht“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Es solle niemand unter Generalverdacht gestellt werden. „Die Schulen kennen ihre Pappenheimer und haben dann ihre Instrumente, um dagegen einzugreifen“, ergänzt der Sprecher.

Bleiben Schülerinnen und Schüler vorsätzlich dem Unterricht fern, stelle das eine Ordnungswidrigkeit dar. Das kann mit einem Bußgeld geahndet werden. „In Bayern liegt die maximale Höhe bei 1000 Euro“, sagt eine Sprecherin der Polizei. Wie hoch die Strafe ausfällt, hänge aber stets vom Einzelfall ab.

"Wenn es öfter vorkommt, lassen wir den betreffenden Schüler von der Polizei zur Schule bringen"

Ein anderer Fall von Schulschwänzen liegt vor, wenn Schüler einfach dem Unterricht fernbleiben – oft ohne Kenntnis der Eltern. „Dem gehen wir nach und wenn es öfter vorkommt, lassen wir den betreffenden Schüler oder die Schülerin von der Polizei zur Schule bringen“, sagt Robert Hackenberg. Aber auch das seien zum Glück Einzelfälle. Die seien jedoch drastisch, ergänzt Bertram Hörtensteiner – und nennt den Fall eines Mädchens im Unterallgäu, das von 158 Schultagen an 38 fehlte.

Eine klare Position vertritt der Bayerische Elternverband: „Es gibt Gesetze und an die müssen sich alle halten“, sagt Vize-Landesvorsitzende Henrike Paede. Aus Kostengründen habe sie zwar durchaus Verständnis, wenn Eltern günstige Urlaube oder Tickets buchen wollten, „denn es ist schon teuer, mit Kindern Urlaub zu machen“. Aber es gehe nicht, dass „jeder macht, was er will“.

Paede rät Eltern, auf jeden Fall rechtzeitig mit der Schule zu reden, wenn das Kind außerplanmäßig nicht zum Unterricht kommen soll oder kann. „In begründeten Einzelfällen stimmen die Schulen dem schon zu“, ist ihre Erfahrung. Grundsätzlich müssten sich aber alle an die Ferienzeiten halten.

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